Generation Beziehungsunfähig? Eher Generation Feige: Wir sind Künstler darin, uns etwas vorzumachen
Früh am Morgen wache ich mit einem angeschwollenen Gesicht auf, kann die Augen kaum öffnen und stolpere gerade so zum Spiegel, um zu schauen, was zur Hölle mit meinem Gesicht los ist. Eine allergische Reaktion heißt es laut Arzt, wodurch mein Verdacht nun bestätigt wurde. Doch worauf? Auf die emotional stressige Woche? Denn am Montag brach ich erneut das Herz eines guten Menschen, weil ich seine Gefühle nicht erwidern konnte, und das mittlerweile seit über 15 Jahren. Am Dienstag erfuhr ich, dass meine Lieblingskollegen das Unternehmen verlassen werden. Emotionen bereits auf Hochtouren. Am Mittwoch ging es weiter und ich erhielt einen weiteren Stich ins Herz, da ich mich plötzlich einsam fühlte und die Hoffnung einen geliebten Menschen zu sehen, ins Nichts verlief. Der Donnerstag? Nun, der ist heute und ich komme gerade vom Arzt, welcher mir mitteilte, dass er nicht sagen kann, was die Schwellung im Gesicht ausgelöst hat.
Eine allergische Reaktion heißt es also. Eine allergische Reaktion auf Nahrungsmittel? Auf Tiere? Oder Pflanzen? Nein! Eine allergische Reaktion auf den bullshit unserer Generation!
Es ist nämlich so, dass wir Menschen von Geburt an Nähe suchen und zum Überleben brauchen. Das ist Fakt. Kein Kind kann eine gesunde, emotionale Welt aufbauen ohne Liebe und Nähe. Wenn doch, entstehen Narben, die nicht einmal das Kind selbst verstehen kann. Das bedeutet, das Kind wird als Erwachsener bestimmte Bindungsstile entwickeln, mit denen er zu kämpfen haben wird und das Leben nicht immer rosig erscheint. Das Spannende an diesen Bindungsstilen ist, dass wir alle einen solchen Stil in der Kindheit in die Wiege gelegt bekommen, geprägt von den ersten Erfahrungen der Liebe und Nähe, und diesen Stil so verarbeiten und weiterentwickeln, wie die darauf kommenden Erlebnisse es eben zulassen. Ich hatte als Kind kein allzu sicheres und emotional stabiles Umfeld, wodurch ich mich mit emotionaler Nähe schwer tue und Menschen nur selten nah an mich heranlasse, um nicht verletzt zu werden. Kommt dir das bekannt vor?
Emotionen zu zeigen, ist für mich sehr schwer und dennoch gibt es eine handvoll Menschen, die es schaffen, diese aus mir herauszuholen.
Nun sitze ich also hier und fühle diese ganzen Emotionen und weiß nicht, wohin damit. Ich fühle Herzschmerz, Trauer und Wut zugleich. Auch das Gefühl von Einsamkeit hat sich eingeschlichen. Und dieses Gefühl ist so stark, dass es körperlich wehtut. Es ist so stark, dass das Gesicht anschwellen könnte… oder es bereits getan hat?
„Sie hat Angst davor Gefühle zuzulassen,
Nähe zu empfinden und falsche Entscheidungen
zu treffen.“
Woher kommen diese ganzen Emotionen, wenn es mir doch grundsätzlich gut geht? Warum gerade jetzt, wenn ich doch weiß, dass es völlig in Ordnung ist, sich auch mal alleine und einsam zu fühlen. Wenn ich doch als Single ganz zufrieden bin und gelernt habe, auch mit mir alleine sein zu können und es sogar genieße.
Das reicht für einen Augenblick womöglich aus, doch in Momenten der emotionalen Schwäche ist es so, als würde man sich blank ziehen und es sehen! Es sehen, dass diese Generation einfach nur feige und unstabil ist. Sie ist voller Angst. Sie hat Angst davor, Gefühle zuzulassen, Nähe zu empfinden und falsche Entscheidungen zu treffen. Angst davor, zu wenig Liebe zu zeigen. Angst davor, zu viel Liebe zu zeigen. Angst davor, nie geliebten zu werden. Und deshalb halten wir alle auf Abstand und tun uns lieber damit selber weh, als das wir es zulassen, dass der Mensch uns gegenüber uns zuvor kommt und uns verletzt. Denn das sind wir gewohnt, nicht wahr? Wir verletzen uns lieber selbst, als dass wir es zulassen, verletzt zu werden! Das outcome ist jedoch dasselbe. Also warum es nicht wagen?
Wir machen uns die Dinge selber schnell kaputt, bevor der Andere es tut. Wir unterdrücken unsere Gefühle und unsere Meinung darüber, was wir wirklich wollen und uns wünschen. Wir sagen lieber ja zur friendzone oder einer Freundschaft Plus, bevor wir den Menschen ganz verlieren und alleine übrig bleiben. Wir antworten stets freundlich und höflich, denn wir wollen keinen mit der eigentlichen Gefühlslage und Meinung überfordern und vor den Kopf stoßen. Wir beantworten die Nachrichten nicht sofort, damit wir nicht needy wirken. Wir lassen unsere WhatsApp Nachrichten von Freunden korrekturlesen, damit es ja nicht zu dramatisch oder zickig wirkt. Wir lächeln den Schmerz lieber weg und tun so, als wäre alles in Ordnung. Wir sagen, es wäre alles in Ordnung, obwohl das Herz nahezu blutet, aber es zuzugeben, würde Schwäche zeigen. Wir erzählen einen Witz, der die Tränen versteckt. Denn auch das, würde uns menschlich und nahbar zeigen.
Aber was passiert, wenn ich einfach ehrlich sage, dass ich beim ersten Date eben nicht mit dem Mann ins Bett möchte? Was passiert, wenn ich mehr als nur Freundschaft Plus will? Was passiert, wenn ich diese eine Nachricht so abschicke, wie ich sie ganz zu Beginn formuliert habe, die ehrlich und wahrhaftig ist. Was passiert, wenn ich mich needy zeige und dem Mann erzähle, wie ich mich in seiner Nähe fühle und dass ich ihn vermisse. Was passiert dann? Ich zeige mich nackt und verletzlich. Und ja, die Wahrscheinlichkeit verletzt zu werden, besteht immer und diese Angst kann mir keiner nehmen. Am größten ist wohl die Angst, mich einsam zu fühlen. Doch fühlen wir uns dann nicht am einsamsten, wenn wir das alles vortäuschen und verstecken? Wenn wir am Ende eh verletzt werden, können wir doch von Anfang an den direkten und ehrlichen Weg wählen, oder nicht? Das kostet Überwindung, doch wenn wir den Verlauf und das Ende der möglichen story zu kennen scheinen, schadet es nicht einen anderen Weg zu gehen. Womöglich gar einen neuen Weg.
„I probably already met my soulmate
and told him to fuck off.“
Seit Tagen denke ich an ein bestimmtes Meme mit dem Spruch „I probably already met my soulmate and told him to fuck off.“ Letztes Jahr habe ich darüber geschmunzelt, doch seit Tagen macht es mich traurig. Denn genau das passiert gerade. Diese Generation, die sich beziehungsunfähig nennt, ist nämlich fähig und sehr wohl in der Lage eine Beziehung einzugehen und Nähe zuzulassen, doch sie entscheidet sich proaktiv es nicht zu tun. In meinen Augen ist es ein feiges Verhalten. Denn was hier passiert, ist, dass die Generation sich auf dieser Aussage ausruht und daher sich entscheidet, nichts weiter zu tun. Denn die Krankheit und der Grund für das geschwollene Gesicht scheinen gefunden zu sein. Ich sage, ich bin beziehungsunfähig, also bin ich es wohl. Und nun kann ich mich zurücklehnen, denn ich habe eine Krankheit! Eines Tages wird es dafür sicherlich auch ein Rezept geben. So macht es sich meine Generation also leicht und einfach und verhindert so die Veränderung und Verbesserung. Feige!
Ich bin unfähig, also kann ich meine Gefühle nicht zeigen. Ich bin unfähig, also antworte ich nicht auf die Antwort und ghoste die Person lieber. Ich bin unfähig und nicht bereit, also möchte ich lieber nur etwas unverbindliches. Alles bullshit. Wir sind einfach nur feige zuzugeben, dass wir mehr oder weniger empfinden. Wir sind feige eine Nachricht zu senden, dass wir uns mit der Person Gegenüber keine Zukunft vorstellen können und wir sind feige, uns auf Etwas einzulassen und dem ganzen eine Chance zu geben. Wir sind feige und haben schlicht und einfach Angst vor dem Einsam- und Alleinsein. Auch sind wir feige, am Ende festzustellen, dass wir uns falsch entschieden haben. Denn das bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung für mich und mein Verhalten.
„Was passiert, wenn du feststellt, dass die Zukunft besser
verläuft und du bist verantwortlich dafür?“
Commitment gehört zu den Worten, die ich derzeit einfach nicht mehr können kann und regelrecht hasse. Dieser Begriff alleine lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen. Nicht auf die gute Art und Weise. Auch hier folgt erneut die semi-geliebte Angst davor zu viel und gleichzeitig zu wenig zu geben und zu erhalten. Wir sind so damit beschäftigt, uns auszumalen, was passieren würde, wenn wir es wagen und was alles schief laufen könnte. Schon einmal versucht den Gedanken umzuswitchen? Was würde passieren, wenn alles gut geht? Was würde passieren, wenn nicht das Schlimmste, sondern das Beste eintrifft? Was passiert, wenn du feststellt, dass die Zukunft besser verläuft und du bist verantwortlich dafür? Das kannst du nur herausfinden, wenn du es wagst und dich mit den Gedanken beschäftigst, was alles Gute und Schöne passieren kann, wenn wir diese eine Nachricht doch abschicken. Wenn wir dem Menschen sagen, ich bin nicht bereit aber ich gebe dem Ganzen eine Chance! Was passiert, wenn wir unser Verhalten anpassen, spiegeln und umdrehen und dann das tun, wonach uns im Herzen tatsächlich ist? Im schlimmsten Fall haben wir die Antworten schneller und können schneller weiterziehen.
Das Schönste an der ganzen Sache ist, dass du denkst, du wärst alleine. Zwischen dem „Einsamsein“ und „Alleinsein“ gibt es einen großen Unterschied. Einsamkeit ist mehr ein Gefühl und das Alleinsein eine Auswirkung. Gegen beides gibt es tatsächlich ein Rezept und hilfreiche Tipps, z.B. in der Female Podcast Folge zur Einsamkeit (Folge #89).
Das beste Rezept ist jedoch das Wissen, dass du nicht alleine damit bist. Egal wie einsam du dich fühlen magst, du bist es nicht. Es ist nur ein Gefühl, ein unangenehmes Gefühl. Doch es wird vergehen. Du bist nicht alleine mit diesem Gefühl und diesen Gedanken. Solange die Generation an diesem paradoxen Verhalten nichts ändert, sitzen wir wohl alle im selben Boot. Steuern können wir es jedoch selbst!
Vielleicht gibt es heute keine Heilung für mein geschwollenes Gesicht, vielleicht ist es eine Reaktion auf Nahrungsunverträglichkeiten, vielleicht reagiert aber auch mein Körper auf diese Feigheit, Schwäche und Nähe zu zeigen, die wir im Herzen tragen. Es ist okay sich einsam und verloren zu fühlen. Es ist okay traurig zu sein. Es ist okay nicht zu wissen, wohin mit sich und okay nicht sofort diese eine Nachricht abzuschicken. Es ist okay diese mehrfach anzupassen und auch ist es okay, in dieser Nachricht nicht alles sofort mitzuteilen und Gefühle offen darzulegen. Es ist okay.
„Es geht auf und ab,
wie das Leben und unsere Gefühle“
Wie ich schon seit Jahren immer wieder prädige: Das Leben ist wie die Kardiogramm, die wundervolle Kurve, die die Bewegung des Herzens anzeigt. Sie geht auf und ab, wie das Leben und unsere Gefühle. Sobald sie es nicht tut, wirkt sich das auch auf unser Leben aus. Aber du kannst sicher sein, dass es Höhen und Tiefen aufweist und das immer wieder. Auch kannst du dir sicher sein, dass jedes Herz sie innehat.
Also, sei mutig! Schicke die Nachricht ab oder tätige diesen einen Anruf. Sage ihm/ihr, wie sehr du ihn/sie vermisst. Sage „nein“ zu dem One-Night-Stand oder Freundschaft Plus. Lächle den Schmerz nicht weg und lasse den Witz heute aus, sondern antworte mit dem Gefühl, wie du es fühlst. Sei nicht immer so unnahbar und bedacht. Sei ruhig auch mal emotional und verwirrt. Teile deine Gefühlswelt und vertrete deine Meinung. Gestehe dir, wenn du dich „bedürftig“ fühlst und Nähe brauchst. Zeige diese Schwäche, die keine Schwäche ist. Und verstehe, dass es eben keine Schwäche ist.
Hey, ich bin Marina, ein Teil des „Female Podcast“ Duos und liebe es, der Liebe auf den Grund zu gehen! Stets auf der Jagd nach dem neuesten Drama und heartbreak, welchen ich mit euch teilen möchte. Denn wir sind ein Team und halten zusammen.
Kommentar hinterlassen